Von 1929 bis 1934 war Hermann Umfrid Stadtpfarrer der Vorbachtalgemeinde Niederstetten. Geprägt vom pazifistisch orientierten Vater, der 1914 sogar für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde, studiert er Theologie und wird Pfarrer. Die Kirchenleitung legt ihm nahe, sich auf die freie Pfarrstelle zu bewerben.
Er bringt eine gewisse Weltläufigkeit und Offenheit mit ins Städtchen. Manche tun sich schwer mit diesem „modernen“ Pfarrer, der Sympathien mit der Jugendbewegung hat. Dementsprechend kleidet er sich, spielt Geige und kann gut mit der Jugend. Er gilt als fröhlich und Neuem aufgeschlossen. Er baut einen guten Kontakt auf zur jüdischen Gemeinde vor Ort. Dort besucht er schon mal einen Sabbatgottesdienst und wird von Familien zum Passahfest eingeladen.
Am Samstag, den 25 März 1933 kommt es zu einem brutalen Vorfall auf dem Rathaus der Kleinstadt. Von Heilbronn aus fiel eine Horde von grölenden SA-Leuten, Polizisten und Kriminalbeamten in einige hohenlohische Orte mit jüdischen Gemeinde ein. Man begann in Niederstetten und drang am frühen Morgen in jüdische Häuser ein, durchsuchte diese nach Waffen und staatsfeindlichem Propagandamaterial. Es kam zu üblen Szenen. Die Männer wurden in den Rathaussaal geschleppt.
Die Ortspolizei bewachte die Rathaustreppe und die SA-Leute schlugen die Juden auf das brutalste zusammen. Einige wurden lebensgefährlich verletzt. Andere mussten später in der Klinik behandelt werden. Durch die Gemeindeschwester erfuhr Pfarrer Umfrid davon. Diese flehte ihn an, er müsse dazu etwas sagen. Die Menschen in Niederstetten waren zutiefst verunsichert. „Die einen verhehlen schlecht ihre Schadensfreude, die anderen waren völlig eingeschüchtert“ so beschreibt er es. Der Gemeinde muss geholfen, sie braucht jetzt eine Orientierung, überlegt er in jener Nacht.
Im Sonntagsgottesdienst am Tag darauf wurde der evangelische Pfarrer deutlich. In seiner Predigt formuliert er sorgfältig. Er beginnt mit einem Vertrauensvorschuss auf die neue Regierung, sagt einiges zu den nichtchristlichen Mitbürgern und nimmt dann die Geschehnisse des Vortages ernst: Nur die Obrigkeit darf strafen. Alle Obrigkeit hat über sich die Obrigkeit Gottes und darf Strafen nur gegen die Bösen handhaben und nur, wenn zuvor gerecht gerichtet wurde. „Was gestern in dieser Stadt geschah, das war nicht recht. Helfet alle, dass der Ehrenschild des deutschen Volkes blank sei!“
Die Predigt hatte Wirkung. Die verängstigten Bürger gingen neu belebt nach Hause. Doch nach dieser Predigt begannen auch schon gleich die Angriffe gegen den Pfarrer. Am Nachmittag bereits schickte man den Bürgermeister, der auch Mitglied des Kirchengemeinderats war zum Pfarrer. Er müsse seine Predigt widerrufen. Am Montag gab es eine Sondersitzung des Gremiums. Nicht wenige Mitglieder stellten sich zunächst noch hinter ihren Pfarrer. Dieser betonte auch den anwesenden Vertretern der NSDAP gegenüber, „dass hier in unchristlicher und unmenschlicher Weise vorgegangen sei und dass es sich hier um einen Übergriff handle, gegen den wir alle zusammenstehen müssen“. Diese Ansicht wurde nicht geteilt. Am Schluss wurde erregt gefordert, „dass Politik nicht auf die Kanzel gebracht werden dürfe“.
Zwei Tage später begann sich das Blatt zu wenden. Immer stärker distanzierte man sich vom mutigen Ortsgeistlichen. Es gab einen Verweis des Dekans, der unter anderem feststellte, dass für einen Sonntagsgottesdienst zu viel Politik auf die Kanzel gebracht und für das fränkische Empfinden von diesen Dingen zu direkt geredet worden sei. Der Oberkirchenrat, dem Umfrid seine Predigt zugeschickt hatte, schloss sich der Rüge an und lies ihn allein.
Dies blieb natürlich der NSDAP nicht verborgen. Von dort aus blies man zum Großangriff. Predigten wurden abgehört. Immer wieder wurde er Verhören unterzogen. Nachts wird ihm aufgelauert. Er wird mit KZ-Haft bedroht.
Dennoch lässt sich der Pfarrer den Mund nicht verbieten. So unterstützt er als einziger in der Stadt den neuen jüdischen Lehrer Alex Roberg. Er wirkt mildernd auf einen Kollegen ein, der als fanatischer Nazi gegen die Juden hetzt.
Im Januar 1934 wird eine weitere Drohkulisse aufgebaut. Der Kreisleiter fordert den Mann auf, sein Amt aufzugeben. Umfrids Widersacher treffen auf keinen Widerspruch, auf keine Solidarität seitens der Bevölkerung. Der 42- jährige Pfarrer und Vater von vier Töchtern weiß keinen Ausweg mehr. Am 21. Januar nimmt er sich nach einem Nervenzusammenbruch das Leben, wohl auch um die Familie vor Sippenhaft zu schützen. Die Niederstettener jüdischen Glaubens – viele von ihnen wurden später deportiert – beklagten den Tod des Geistlichen. „Unser Beschützer ist nicht mehr“. Die Überlebenden der jüdischen Gemeinde Niederstetten pflanzen zum Andenken an ihn 1979 einen Ehrenhain bei der Gedenkstätte Yad Vashem.
Und die Menschen in Niederstetten heute? Sie könnten stolz sein auf Hermann Umfrid, so ist es im Heimatbuch der Stadt vorsichtig formuliert.